Winterschlaf? Nicht im Auto.

Im Winter steigt das Risiko von Unfällen in der Nacht. Ein Schlafforscher erklärt, wie Autofahrer sicher ankommen.

27. Oktober 2017
3 Minuten

Im Oktober werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Die früher eintretende Dunkelheit hat Auswirkungen auf den Biorhythmus – und beeinträchtigt auch die Leistungsfähigkeit von Autofahrern. „Runter vom Gas“ hat mit dem Schlafforscher Dr. Hans-Günter Weeß über Müdigkeit am Steuer gesprochen und ihn gefragt, wie Autofahrer sicher durch die dunkle Jahreszeit kommen.

Mini-Jetlag

Eine Stunde vor oder zurück? Seit 1980 stellt sich diese Frage – zweimal im Jahr. „Im Oktober lautet die Antwort: Die Uhren werden von drei Uhr auf zwei Uhr nachts zurückgedreht. Auch wenn die Nacht dann eine Stunde länger ist, fühlen sich viele Menschen am Morgen danach und in den Folgetagen besonders müde und schlapp. „Nach einer Zeitumstellung ist der Biorhythmus gestört. Wir haben eine Art Mini-Jetlag“, sagt Hans-Günter Weeß von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) mit Sitz im hessischen Schwalmstadt. Der Schlafforscher erklärt, die innere Uhr brauche etwas Zeit, in der Regel ein bis zwei Tage, um sich anzupassen. Insbesondere die sogenannten „Eulen" , also Personen, die abends lange wach sind und morgens schwerer aus dem Bett kommen, tun sich mit der Zeitumstellung schwer.   

Nach einer Zeitumstellung ist der Biorhythmus gestört. Wir haben eine Art Mini-Jetlag.

Wintermüdigkeit ist kein Mythos

Vor allem Autofahrer sollten die Zeitumstellung ernst nehmen. „Die meisten Unfälle geschehen nicht beim größten Verkehrsaufkommen, sondern in den Phasen menschlicher Leistungstiefs“, sagt Weeß. Insbesondere morgens zwischen vier und sieben Uhr und nachmittags von 14 bis 17 Uhr leiden viele an einem Leistungsabfall. Erschwerend kommt hinzu: Die früher eintretende Dunkelheit nach der Zeitumstellung verstärkt die Bildung des Hormons Melatonin – und macht Menschen müde. In der dunklen Jahreszeit kämpfen viele Autofahrer, vor allem Pendler, deshalb stärker mit Müdigkeit am Steuer als im Sommer.

Müdigkeit schwächt wie Alkohol

Was viele nicht wissen: Müdigkeit am Steuer schränkt die Fahrtauglichkeit ähnlich ein wie Alkohol. 17 Stunden Schlaflosigkeit beinträchtigen Fahrer wie ein Blutalkoholspiegel von etwa 0,5 Promille. 22 Stunden ohne Schlaf beeinflussen die Fahrtauglichkeit sogar wie 1,0 Promille.

Welche Konsequenzen das hat, belegen Daten des Statistischen Bundesamtes: Aufgrund von Übermüdung kam es 2016 in Deutschland zu mehr als 1.870 Verkehrsunfällen mit Personenschaden. Statistisch belegt ist ebenfalls: Im Winter steigt das Unfallrisiko bei Dunkelheit um ein Vielfaches. In den Sommermonaten liegt das Unfallrisiko bei lediglich zwölf Prozent in der Nacht.

Freiheitsstrafe droht

Wer sich trotz Müdigkeit an das Steuer setzt, muss mit hohen Strafen rechnen. Im Strafgesetzbuch ist festgelegt: Führt ein Verkehrsteilnehmer ein Fahrzeug, „obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist“, muss er mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe rechnen. In jedem Fall wird der Führerschein entzogen.    

Erste Anzeichen ernst nehmen

Für Müdigkeit gibt es viele Anzeichen. „Unkonzentriertheit, verblassende Erinnerungen an die zuletzt gefahrenen Kilometer oder eine geringere Wahrnehmung anderer Verkehrsteilnehmer: All das sind Frühboten der Müdigkeit“, erklärt Weeß. Wenn die Augenlider schwer werden, Fahrer häufiger blinzeln oder vermehrt gähnen, ist eine Pause unumgänglich. Viele Verkehrsteilnehmer ignorieren solche Anzeichen allerdings und werden somit zu einem Risiko für sich selbst und andere. Bereits wenige Sekunden der Unaufmerksamkeit können fatale Folgen haben. Wer beispielsweise bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h für drei Sekunden einschläft, legt mehr als 80 Meter „blind“ zurück.

Eine Pause von zehn bis 20 Minuten, nicht mehr.

Schlaf und Bewegung helfen

Um sich und andere zu schützen, sollten Verkehrsteilnehmer bereits erste Anzeichen von Müdigkeit ernst nehmen – und sofort handeln. Am besten einen Rastplatz oder Parkplatz ansteuern und einen Kurzschlaf einlegen. „Eine Pause von zehn bis 20 Minuten, nicht mehr“, sagt Weeß. Schlafen Fahrer hingegen länger, kann das zu Abgeschlagenheit führen. Körperliche Aktivitäten, die den Kreislauf in Schwung bringen,  helfen ebenfalls. Viele vermeintliche Tricks, wie während der Fahrt das Fenster herunterkurbeln, das Radio lauter drehen oder Kaugummi kauen, haben laut Weeß dagegen keinen Effekt. Auch Kaffee und Energy-Drinks schaffen keine Abhilfe. Sinnvoll kann es jedoch sein, vor dem Kurzschlaf einen Kaffee zu trinken. Das enthaltene Koffein wirkt erst nach etwa 30 Minuten und verstärkt den Erfrischungseffekt nach dem Aufwachen.

Jeder Vierte bereits am Steuer eingeschlafen

Dass Sekundenschlaf bei Autofahrern kein seltenes Phänomen ist, belegt eine Umfrage des DVR im Rahmen der Kampagne „Vorsicht Sekundenschlaf“. Demnach ist jeder vierte Pkw-Fahrer bereits am Steuer eingenickt. Der DVR macht daher mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und weiteren Partnern mit der Kampagne auf die Gefahr von Müdigkeit am Steuer aufmerksam.

Mit Blick auf die Zeitumstellung sind Verkehrsteilnehmer nicht vollkommen machtlos. Den Körper kann man bereits mehrere Tage vorher auf den Wechsel einstellen. Weeß rät: „Vier bis fünf Tage vor der Umstellung sollte man beginnen, zehn bis 15 Minuten früher ins Bett zu gehen.“ Das mildere den Mini-Jetlag ab. Der dunklen Jahreszeit kann man dadurch zwar nicht entfliehen. Aber es erleichtert den Einstieg.

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