02. Juni 2016

Multitasking ist ein Mythos

Warum wir uns beim Autofahren nur auf die Straße konzentrieren sollten.

2 Minuten

Autofahren und gleichzeitig eine SMS tippen – ist das möglich? Professor Dr. Torsten Schubert von der Berliner Humboldt-Universität sagt Nein. Der Psychologe und kognitive Neurowissenschaftler forscht seit über 20 Jahren zum Thema „Multitasking“. Warum das menschliche Gehirn sich nicht auf mehrere Aufgaben gleichzeitig konzentrieren kann, erklärt er im Interview.

Herr Prof. Dr. Schubert, was bedeutet der Begriff „Multitasking“?

In der wissenschaftlichen Psychologie versteht man darunter Situationen, in denen ein Mensch zwei oder mehr Aufgaben gleichzeitig ausführt.

Sind Menschen dazu fähig?

Eigentlich nicht. Es ist zwar möglich, beispielsweise gleichzeitig den Verkehr zu beobachten und dabei Geräusche wahrzunehmen, aber nur, weil es sich dabei um Wahrnehmungen handelt. Sobald die Aufgaben, die wir ausführen, eine Entscheidung oder eine Reaktion erfordern, funktioniert „Multitasking“ nicht. Denn: Entscheidungen können im menschlichen Gehirn nur nacheinander erfolgen.

Wichtig ist, sich vor Augen zu führen, dass sich oft bereits hinter den einfachsten Prozessen eine Vielzahl an Entscheidungen „versteckt“, auch wenn uns dies oft nicht bewusst ist. So erfordert etwa schon das Betätigen des Navigationssystems oder das Beantworten der Frage meines Beifahrers eine Entscheidung. Denn wir müssen festlegen, welche der vielen Tasten des Gerätes wir drücken und welche der möglichen Antworten wir wählen.

Was passiert im menschlichen Gehirn, wenn mehrere Entscheidungen gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit beanspruchen?

Komplexe Tätigkeiten aktivieren verschiedene Regionen im Gehirn. Beim Autofahren sind das zum Beispiel das Sehzentrum und das motorische Zentrum. Diese Regionen muss das Gehirn miteinander verkoppeln, um die Tätigkeit auszuführen. Kommt nun zusätzlich eine zweite Aufgabe hinzu, müssen dafür ein zweites Mal verschiedene Regionen des Gehirns miteinander verbunden werden. Diese zweite Bindung oder Verkoppelung entsteht jedoch wesentlich langsamer, in der Regel erst nach der ersten.

Warum ist die Gleichzeitigkeit bei Handlungen ein Problem?

Es entsteht in der Aufmerksamkeit eine Art Flaschenhals: Das Gehirn muss die Reihenfolge der Bearbeitung festsetzen und entscheiden, welche der Aufgaben die wichtigere ist. Kurzum: Wir konzentrieren uns nur auf eine der scheinbar parallel ablaufenden Handlungen und schalten zwischen diesen hin und her.

Wie bestimmt das Gehirn die Reihenfolge der Handlungen?

Einerseits entscheidet das Gehirn danach, was uns persönlich wichtig ist. Diese Entscheidungen erfolgen jedoch zum Teil unbewusst. Wenn wir uns vornehmen, uns auf das Autofahren zu konzentrieren, wird diese Aufgabe zunächst priorisiert ausgeführt. Jedoch kann zum Beispiel das Radio oder ein Telefonat persönlich wichtige Informationen vermitteln und plötzlich unsere Aufmerksamkeit von der primären Aufgabe „Autofahren“ ablenken. Erfahren wir etwa, dass wir morgen ein Vorstellungsgespräch haben, so ist diese Information für uns persönlich wichtig und kann daher vorrangig unsere Aufmerksamkeit beanspruchen. Die Konzentration ist zudem stark abhängig von der Verfassung des Einzelnen in diesem Moment. Sind wir zum Beispiel müde, dann sind wir stärker beeinflussbar durch von außen hinzutretende Informationen, welche wiederum die Priorisierung unserer Aufmerksamkeit beeinträchtigen.

Werden die Gefahren des Multitaskings im Straßenverkehr unterschätzt?

Oftmals macht man sich als normaler Verkehrsteilnehmer nicht bewusst, dass wir Aufgaben nicht gleichzeitig, sondern nacheinander ausführen. Das kann eine extreme Gefahrensituation bedeuten. Zwar passiert in den meisten Situationen, in denen wir für eine kurze Zeit abgelenkt sind, nichts Unvorhergesehenes. Das ist allerdings nur Zufall. Bereits kleinste Verzögerungen in unserer Aufmerksamkeit können im Straßenverkehr fatale Folgen haben. Ist man beispielsweise beim Fahren auf der Autobahn drei Sekunden lang abgelenkt, entsteht bei einer Fahrgeschwindigkeit von 110 km/h ein „Blindflug“ von fast 100 Metern, auf denen man nicht angemessen auf Unvorhergesehenes reagieren kann.

Welche Ratschläge geben Sie Verkehrsteilnehmern zum Thema Ablenkung mit auf den Weg?

Meine grundsätzliche Empfehlung lautet: Nicht ablenken lassen und bewusst die Ablenkungsquellen während der Fahrt minimieren! Daher rate ich, auch auf das Telefonieren mit der Freisprechanlage zu verzichten. Denn: Schon kleinste Notwendigkeiten, wie die richtige Taste zu finden, um die Lautstärke zu regulieren oder um ein Gespräch anzunehmen, beinhalten Entscheidungen, die unsere Aufmerksamkeit vom Verkehr ablenken. Zwar muss im Auto nicht geschwiegen werden, intensive Diskussionen mit dem Beifahrer sollten jedoch besser nach der Fahrt stattfinden. Wer mit Kindern im Auto unterwegs ist, kann sich besser auf den Verkehr konzentrieren, wenn diese beschäftigt sind. Zusätzlich empfehle ich, das Fahren in einem emotional angespannten Zustand – zum Beispiel nach einem aufwühlenden Streitgespräch – zu vermeiden. Auch intensive Gedanken können den Flaschenhals der Aufmerksamkeit blockieren.

Meine grundsätzliche Empfehlung lautet: Nicht ablenken lassen und bewusst die Ablenkungsquellen während der Fahrt minimieren!

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