Fahrerlos durch die Stadt

Autonome Fahrzeuge könnten vor allem im ÖPNV sinnvoll eingesetzt werden. Worauf es dabei ankommt.

19. November 2021
3 Minuten

Ein neues Gesetz zum autonomen Fahren ermöglicht es, dass wohl bald fahrerlose Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs über Deutschlands Straßen fahren. In vielen Städten gibt es bereits Pilotprojekte, mehrere Verkehrsunternehmen testen autonome Shuttle-Busse.

Autonome Fahrzeuge als Chance im ÖPNV

Fünf kleine ÖPNV-Busse fahren seit mehr als einem Jahr durch Monheim am Rhein, eine kleine Stadt in Nordrhein-Westfalen, südlich von Düsseldorf. Bis zu zwölf Fahrgäste haben Platz, sie können an sechs Haltestellen ein- und aussteigen. Das Besondere: Die Busse fahren autonom, mithilfe von Sensoren, auf einer programmierten Strecke – eine Fahrerin oder einen Fahrer haben sie nicht. Nur eine Begleitperson fährt mit, die im Notfall eingreifen kann.  

Es gibt eine Deutschlandkarte des VDV, des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, auf der alle Pilotprojekte zu autonom fahrenden Öffentlichen eingezeichnet sind. Es sind 59 Punkte auf dieser Karte, in fast allen Ecken Deutschlands verstreut – von Keitum auf Sylt bis Bad Birnbach am Bayerischen Wald, von Aachen bis Berlin. Und es werden in Zukunft noch deutlich mehr werden. „Bis autonom fahrende Busse das Straßenbild prägen, wird es aber noch ein paar Jahre dauern“, sagt Emanuele Leonetti, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim VDV. Für den Branchenverband bieten die autonom fahrenden öffentlichen Verkehrsmittel eine Chance, dort öffentlichen Nahverkehr anzubieten, wo es im Moment noch kein ausreichendes Angebot gibt: etwa in ländlichen Gebieten oder spät abends, nachts und früh am Morgen.

On demand, Ride-Pooling oder Liniendienst

Die deutschlandweiten Pilotprojekte setzen dabei auf zwei verschiedene Angebote. Meist werden Liniendienste getestet, die in einem geregelten Takt fahren. Darüber hinaus gibt es auch einige sogenannte On-demand-Angebote. Dabei können Passagiere die Fahrt per App bestellen und eine individuelle Strecke fahren. Um den Dienst bestmöglich auszulasten, nutzt die App die Methode des Ride-Poolings, mit dem mehrere Fahrgastanfragen kombiniert  werden, sofern sich die gewünschten Fahrtziele ebenfalls entlang der zurückzulegenden Strecke befinden. 

Auch wenn es viele Versuche, Projekte und Tests gibt: Echte autonom fahrende Straßenfahrzeuge – also ohne Busfahrerin oder Busfahrer an Bord gibt es im normalen Straßenverkehr in Deutschland noch nicht. Aber das wird wohl nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen: Seit Ende Juli 2021 gibt es dafür eine gesetzliche Grundlage. Die ermöglicht es, dass autonom fahrende Fahrzeuge regulär in den Verkehr kommen.

Gesetz zum autonomen Fahren

Am 28. Juli 2021 ist das Gesetz zum autonomen Fahren in Kraft getreten.

Deutschland ist mit dem Gesetz weltweit das erste Land, das fahrerlose Kraftfahrzeuge im Regelbetrieb sowie im gesamten nationalen Geltungsbereich erlaubt: 

Ein autonomes Fahrzeug wird darin definiert als „ein Kraftfahrzeug, das die Fahraufgabe ohne eine fahrzeugführende Person selbstständig in einem festgelegten Betriebsbereich erfüllen kann".

Die Fahrzeuge müssen vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt werden. Die nach Landesrecht zuständige Behörde erteilt dann eine Genehmigung für den festgelegten Betriebsbereich. Experten rechnen damit, dass diese gesetzliche Regelung nur vorübergehend gelten wird. Sie gehen davon aus, dass das Thema bald auf EU-Ebene geregelt wird.

Je mehr autonome Fahrzeuge im ÖPNV eingesetzt werden, umso mehr werden diese Fahrzeuge auch Auswirkungen auf die anderen Verkehrsteilnehmenden haben. Zunächst einmal werden die Fahrzeuge nicht schneller als 20 km/h fahren und nur in Bereichen eingesetzt, in denen die Verkehrssituation übersichtlich ist. Auch die Strecke wird so gewählt, dass sie leicht zu bewältigen ist. So werde man zum Beispiel komplexe Linksabbiegevorgänge am Anfang weglassen, sagt Tom Gasser, der bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) das Referat für Automatisiertes Fahren leitet. „Rechts abbiegen ist einfacher.“ 

Lernen unter Realbedingungen

Der Stadtverkehr ist hochkomplex. Denn die autonom fahrenden Öffentlichen begegnen dort Radfahrenden, Fußgängerinnen und Fußgängern und Autofahrenden – das bedeutet eine Vielzahl von Situationen, die unmöglich vorher in all ihren Facetten durchgespielt und bedacht werden können. Um die bewältigen zu können, müssen die autonomen Fahrzeuge lernen, immer höheren Anforderungen zu genügen. Die Komplexität der Einsatzgebiete wird nach und nach gesteigert. Bevor sie auf die Straße gelassen werden, prüft das Kraftfahrt-Bundesamt, ob die autonomen Fahrzeuge den Bedingungen im Einsatzgebiet gewachsen sind. „Man wird anspruchsvolle Situationen schaffen, in denen sich das Fahrzeug bewähren muss“, sagt Tom Gasser von der BASt.  

Warum autonome Fahrzeuge defensiv fahren

Ein Video zeigt, wie der kleine Bus durch Monheim am Rhein fährt. Als ein Radfahrer aus einer Seitenstraße kommt und nur knapp vor dem Bus vorbeifährt, bleibt der Bus stehen. Autonom fahrende Fahrzeuge können zwar nicht so gut wie Menschen das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer antizipieren. Dafür reagieren sie schneller als Menschen, weil sie anders als das menschliche Gehirn fast keine Reaktionszeit benötigen, um nach einer Wahrnehmung eine Handlung einzuleiten. 

Autonom fahrende Fahrzeuge halten sich streng an alle Verkehrsregeln, verhalten sich sehr defensiv. Die Sensorik des Fahrzeugs rechnet in Wahrscheinlichkeiten: Sieht es einen Fußgänger am Straßenrand, der vielleicht die Straße überqueren könnte, wird es sehr wahrscheinlich stehen bleiben. „Es ist eine sehr hohe Verantwortung, die man der Technologie einprogrammiert“, sagt Tom Gasser von der BASt.

Checkliste: Wie sich andere Verkehrsteilnehmende im Kontakt mit autonomen Fahrzeugen verhalten sollten

  • Rechnen Sie damit, dass das Fahrzeug jederzeit abrupt stehen bleiben kann.
  • Halten Sie ausreichend Abstand vom Fahrzeug, um es nicht unnötig zum Stehenbleiben zu bringen.
  • Passen Sie Ihre Geschwindigkeit an die Geschwindigkeit des autonomen Fahrzeugs an.

Weil die Fahrzeuge anfangs sehr langsam und defensiv fahren oder abrupt stehen bleiben, könnte es passieren, dass Auto- oder Radfahrende überholen wollen, dass sie unruhig werden, drängeln. Auch wenn sich andere Verkehrsteilnehmende möglicherweise von der übervorsichtigen Fahrweise in ihrem Fortkommen gehindert fühlen, ist diese defensive Fahrweise wichtig, um die Sicherheit der Insassen und anderer Verkehrsteilnehmender möglichst nicht zu gefährden.

Wenn das System erkennt, dass es seine Grenzen überschreitet bzw. einen Regelverstoß begehen müsste, um die Fahrt fortzusetzen, dann kommt der Mensch ins Spiel. Das neue Gesetz zum autonomen Fahren sieht eine technische Aufsicht vor, die zum Beispiel in einer Leitzentrale sitzt. Die Aufsichtsperson bewertet nach einem Stopp des Fahrzeugs die Situation und kann dann die Freigabe zur Weiterfahrt erteilen. Ganz ohne den Menschen funktioniert es also doch noch nicht. 

Bilder: Stadt Monheim am Rhein/Tim Kögler