Begleitetes Fahren ab 40t

Zwei Lkw-Fahrer, eine Leidenschaft: Auf Tour mit Vater und Sohn.

17. Februar 2017
8 Minuten

Sie teilen sich die Straßen und doch trennen sie Welten: Vorurteile zwischen Berufskraftfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern gibt es viele. Manchmal führen sie zu Frust und regelrechten Machtkämpfen auf der Autobahn. Dass das so nicht sein muss, beweisen zwei Lkw-Fahrer, die „Runter vom Gas“ bei ihrer Arbeit begleitet hat. Ein Plädoyer für mehr Miteinander.

Sonntags können Trucker nicht schlafen. Zumindest nicht zu Hause, im eigenen Bett. Mit dem Kopf sind sie dann schon bei der Arbeit und wälzen sich von links nach rechts. Lieber fahren sie abends schon zu ihrem „Bock“ und verbringen die Nacht in der Kabinenkoje. „Das wird dir jeder Berufskraftfahrer bestätigen“, sagt Kevin Knostmann, der schon 130.000 Kilometer mit dem Lkw gemacht hat, bevor er überhaupt fahren durfte. Schon als Zweijähriger ging er mit seinem Vater auf Tour, wurde auf Raststätten gewickelt. Später dann freundete er sich mit Lageristen an und wies mit seinen kleinen, gelben Arbeitshandschuhen den Vater ein wie ein Marshaller auf dem Flugfeld. „Der Junge hat Diesel im Blut“, sagt Volker Knostmann. Seit 1989 ist er Berufskraftfahrer aus Leidenschaft. Seit 2013 fahren Vater und Sohn gemeinsam.

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Wenn sie einen Wunsch frei hätten? „Eine Tour nach Skandinavien. Die Polarlichter sehen. Das wär’s!“
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Ready for Take-off: Vater und Sohn bereiten sich in Hamburg auf ihren Arbeitstag vor.
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Den alten Herrn im Nacken. In diesem Fall ist’s erwünscht.
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„Macht Spaß, mit dem Bengel zu fahren“, sagt Papa Volker über seinen Sohn.
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Ankunft in Osnabrück. Im Frachtbrief wird genau festgehalten, was wann wohin muss.
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Vier Tonnen wiegt allein der leere Container.
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Mit der Ladung sind es 25,5 Tonnen.
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Teamwork nicht nur auf der Straße.
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Pause bei Anne und Alfred, einer Institution unter Truckern – und ein Rest Fernfahrerromantik.
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Andenken an alte Fernfahrer-Zeiten.
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Wenn sie einen Wunsch frei hätten? „Eine Tour nach Skandinavien. Die Polarlichter sehen. Das wär’s!“
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Ready for Take-off: Vater und Sohn bereiten sich in Hamburg auf ihren Arbeitstag vor.

Es ist ein harter Job. Einer, zu dem man geboren sein muss. Jeden Tag früh raus, 13- bis 15-Stunden-Schichten. Familie und Privatleben nur am Wochenende. Und doch lieben die beiden Männer ihren Beruf. Am liebsten fahren sie die weiten Touren. „Immer nur um den Kirchturm, das reicht uns nicht“, sagt Volker.

Montagmorgen, fünf Uhr, minus vier Grad. Vater und Sohn richten ihre Wagen für die Woche ein: Essen und Getränke kommen in den Kühlschrank unter der Koje. In ihren Büchern tragen sie den Kilometerstand ein. Der Tank und die Schlösser des Containers werden gecheckt. Eigentlich wären sie wie die anderen schon am Vorabend auf dem Gelände der Speditionsfirma bei Hamburg angekommen, doch für „Runter vom Gas“ machen sie eine Ausnahme.

Wir werden nicht fürs Rasen bezahlt. Ankommen ist die Devise.

Als die beiden um 5.30 Uhr losfahren, sind sie schon ein bisschen spät dran. Volker und Kevin müssen von der Elbe nach Osnabrück, wo sie Papier laden werden. Von dort geht es auf direktem Weg zurück nach Hamburg. „Rundlauf“ nennt man das in der Logistikbranche. Der Jüngere fährt voraus. „Ist glatt“, gibt Kevin über Funk durch, als die zwei 40-Tonner mit den Nummern 702 und 703 langsam auf die Straße und in Richtung A 1 rollen.

Der Brummi als fahrendes Hindernis?

Trotz Zeitdruck gehen Volker und Kevin auch auf der Autobahn nicht aufs Gas. „Für manch einen Kollegen sind wir jetzt schon ein fahrendes Hindernis“, erklärt der Vater. Die Höchstgeschwindigkeit für Lkw dieser Größenordnung liegt bei 80 km/h. Es gibt einen Toleranzbereich von drei Stundenkilometern, schneller dürfen sie auf keinen Fall. So will es nicht nur das Gesetz, sondern auch die Spedition, für die sie fahren. Denn verstößt ein Fahrer gegen die Sozialvorschriften oder die Geschwindigkeitsbegrenzung, hat auch der Arbeitgeber mit Konsequenzen zu rechnen. „Wir werden nicht fürs Rasen bezahlt. Ankommen ist die Devise.“

Sozialvorschriften für Lkw-Fahrer

In Deutschland kontrollieren das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und die Polizei die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten von Berufskraftfahrern. Die wichtigsten Regeln im Überblick:

  • Lenkzeit max. neun Stunden am Tag
  • Nach 4,5 Stunden ist eine Pause von 45 Minuten verpflichtend.
  •  Die Wochenlenkzeit darf höchstens 56 Stunden beantragen.

50 Meter Platz müssen die beiden mindestens zwischen sich lassen. Den Abstandstempomat hat Volker aber lieber mit etwas Puffer auf 62 Meter eingestellt. Schon nach wenigen Minuten auf der Autobahn kommt von hinten links ein anderer Lkw-Fahrer, der in die Lücke zwischen Kevin und Volker möchte. Wie es unter Brummifahrern üblich ist, signalisiert Volker dem Kollegen mit der Lichthupe, dass dieser mit der ganzen Länge seines Wagens an ihm vorbei ist und in die Lücke fahren kann. Zum Dank blinkt dieser in schneller Abfolge rechts, links und wieder rechts. Doch nach einem kurzen Augenblick zieht er schon wieder raus. Kevin fährt ihm zu langsam. Eine Szene, die sich häufen wird an diesem Tag.

Wie die meisten Berufskraftfahrer transportieren auch Kevin und Volker ihre Ladung „just in time“. Das bedeutet, dass der Zulieferer das Gut bedarfsgenau auf den Weg zum Abnehmer bringt. Der Lkw wird damit zum rollenden Lager. Daraus ergeben sich präzise Anlieferungsfenster: „Kommt man zu spät am Verlade-Terminal an, kann es passieren, dass alle vorgelassen werden, die nach dir abgewickelt werden sollten“, erklärt Volker. Eine Verzögerung von zwanzig Minuten bedeutet mitunter stundenlange Wartezeit für den Fahrer. „Das kriegst du dann bis zum Ende der Woche nicht mehr raus.“

Die Zahl der Unfälle mit Lkw ist seit 1995 um 31,2 Prozent gesunken – dank verbesserter Technik.

Die Auto- und Motorradfahrer auf den Straßen wissen davon in der Regel nichts. „Die Leute empfinden uns als störend“, bedauert Kevin. „Die machen sich keine Vorstellung davon, wofür wir eigentlich unterwegs sind.“ Wenn alle Lkw-Fahrer plötzlich die Arbeit einstellten, überschlägt der Vater, wären die Läden nach drei Tagen leer. Dennoch haben beide auch Verständnis für Vorurteile gegenüber Fernfahrern. „Das unprofessionelle, pöbelhafte Verhalten von wenigen, dazu die oft einseitige Berichterstattung in den Medien – das macht den Ruf der ganzen Berufsgruppe kaputt“, ärgert sich Volker.

Ist man wie die Knostmanns jeden Tag auf der Straße unterwegs, bekommt man die ungeheuerlichsten Dinge zu sehen. Da schmiert sich manch ein Kollege während der Fahrt Brote, macht auf dem Lenkrad Übungen mit Trommelstöcken, liest Zeitung oder bedient den Laptop. „Einmal“, sagt Kevin, „habe ich sogar einen gesehen, der sich während der Fahrt in der Kabine auf dem Gaskocher was zu essen gemacht hat.“ Darüber kann Volker nur den Kopf schütteln. „Wenn Fahrer bei der Arbeit unkonzentriert sind, ist ihnen wohl nicht klar, dass ihre 40 Tonnen eine totbringende Waffe sind. Die sehen einfach das Gefahrenpotenzial nicht, das von ihnen ausgeht. So jemand gehört nicht auf die Piste.“ Dennoch, so ist er überzeugt, kämen auf jeden Ausreißer 99 vernünftige Fahrer. Und bei den Pkw-Fahrern? „Da ist es das Smartphone“, sagt der Sohn.

Um 7.20 Uhr, 66 km vor Osnabrück, meldet sich Kevin per Funk: „Schaut mal nach links. Das sind die Momente, die den ganzen Stress vergessen machen.“ Am Horizont geht gerade die Sonne auf. Auch Volker lächelt. Er freut sich, dass der Junior einen Blick für die schönen Dinge auf dem Weg hat. „Wer den verliert, für den ist das ein trister Job.“

In fast 30 Jahren nur einen Unfall

Rund 2,5 Millionen Kilometer ist Volker schon gefahren, schätzt er. Erst einmal, Mitte der 90er, sei er in einen Unfall geraten. „Das war auf der A 9 bei Nürnberg“, erzählt er. „Zwei Spuren führten nach links, zwei nach rechts. Ein Ehepaar muss die Orientierung verloren haben. Der Fahrer setzte den Blinker links, fuhr dann plötzlich aber nach rechts. Ich hatte keine Chance.“

Mit dem Schrecken davon gekommen

Der Pkw wurde rund 100 Meter weit geschleudert, war nach dem nahezu ungebremsten Zusammenstoß mit dem Laster ein gutes Stück kürzer. „Das ist ein Scheißgefühl“, erinnert sich Knostmann senior. „Weil du nicht weißt: Hab ich jetzt jemanden umgebracht?“ Hatte er nicht. Das Ehepaar erlitt glücklicherweise nur einen Schock und leichte Verletzungen.

Zufällig war sogar ein ziviler Streifenwagen in der Nähe. Die Beamten hatten das Geschehen nicht nur beobachten können, sie sicherten auch sofort die Unfallstelle ab. Knostmann junior fährt bislang unfallfrei. „Aber man bekommt viel zu sehen. Klar tut das weh, doch man darf das nicht an sich ranlassen.“ Vieles davon erzählen die Männer zu Hause erst gar nicht.

Sicherheit ist der Firma, für die Volker und Kevin fahren, wichtig. Dazu gehört nicht nur die Einhaltung der Sozialvorschriften. Die Zugmaschinen werden alle drei Jahre ausgetauscht – die neueste Fahrzeugtechnik garantiert. Neben dem Abstandstempomat, der selbstständig bremst, gehören ESP, ABS und ein Fahrspurhalteassistent zur Ausstattung. Doch die beste Technik bringt nichts, wenn der Mensch sie nicht nutzt. „Sträflich gefährlich“ finden Vater und Sohn, wenn Fahrer diese ausschalten. Einige Hersteller erproben zudem bereits Rundumkameras gegen den toten Winkel, die in Zukunft zum Beispiel Unfälle mit Radfahrern beim Abbiegen verhindern könnten.

Abstandsfehler waren mit über 20 Prozent die Ursache Nummer eins für Lkw-Unfälle in 2015.

8.10 Uhr: Die beiden Laster geraten in zähfließenden Verkehr. Kevin zieht ein bisschen nach rechts. Dazu ist er verpflichtet, denn im Notfall muss Platz sein für eine Rettungsgasse. Bis zur Abfahrt ist es noch ein gutes Stück. Doch von hinten kommt ein Pkw mit deutlich höherem Tempo über den Standstreifen, den rechten Blinker gesetzt. Dem Fahrer geht es zu langsam. „Auf der Straße ist sich oft jeder selbst der Nächste“, seufzt Volker, der die Szene von hinten beobachtet. „Keine Zeit, keine Zeit!“ und „Erstmal ich!“ seien typische Credos vieler Fahrer.

Die Knostmanns erleben beinahe täglich Anfeindungen von Pkw-Fahrern. Ein „Klassiker“ sei das Auffahren auf die Autobahn. Viele führen mit dem Verständnis „Ich will jetzt hier rauf“ oder „Kann der nicht mal eben Platz machen?“. Auch Baustellen sind eine typische Gefahrensituation. Oftmals ist die Überholspur nur für Fahrzeuge bis maximal 2,20 Meter Breite freigegeben. „Aber was glaubst du, wie viele die Ausmaße ihrer Autos gar nicht kennen?“, wundert sich Volker. Einmal habe sogar ein Motorradfahrer vor ihm Slalomübungen gemacht. „Was macht der, wenn der auf die Nase fällt? Dann fahr’ ich über den drüber!“

Berufskraftfahrer als Vorbild

Umso wichtiger ist es Vater und Sohn, als Berufsfahrer Vorbilder zu sein. Dazu gehöre unbedingt vorausschauendes Fahren. „Damit Fehler – auch die der anderen – nicht unbedingt Folgen haben müssen“, erklärt Volker. „Lieber entschärfen wir die Gefahrensituation und verzichten auf unsere Vorfahrt.“ Auch Kevin findet: „Es müssten alle mal wieder ein bisschen für die anderen mitdenken. Das würde so viel helfen.“

Schon als Anfänger Verantwortungsbewusstsein

Klar seien sie selbst keine Heiligen, sagen die beiden Männer. Auch das Telefonieren über Bluetooth sei streng genommen schon eine Ablenkung, genau wie der Griff zum Kühlschrank. Gerade als junger Fahrer sei Volker flott unterwegs gewesen, habe häufiger überholt. Seinem Sohn, der noch Berufsanfänger ist, bestätigt er hingegen ein hohes Verantwortungsbewusstsein.

„Den muss ich schon manchmal bremsen, damit er nicht zu emotional wird.“ „Ach, hör auf zu singen“, schäkert Kevin. „Klar regen wir uns auch mal auf. Aber wir bringen uns gegenseitig schnell wieder runter, weil wir die Situationen sofort miteinander besprechen können.“

Es müssten alle mal wieder ein bisschen für die anderen mitdenken. Das würde so viel helfen.

12.35 Uhr. Ein schöner, klarer Wintertag. Auf der Autobahn ist viel los. Die Container sind inzwischen beladen. 24,5 Tonnen wiegen sie jetzt. Vater und Sohn haben in Lohne-Dinklage zwischendurch bei „Anne & Alfred“ Pause gemacht – einer Institution unter Truckern. Sogar freitagsabends ist hier der Parkplatz voll. Wieder auf der Autobahn kommt im Überholverbot von hinten links ein Zweiachser und schert direkt vor Kevin ein. Der Abstandstempomat meldet sich mit einer großen roten Linie in der Frontscheibe und bremst automatisch. Nur Minuten später hat ein Pkw offenbar die falsche Ausfahrt genommen. Im letzten Augenblick zieht er vor dem Lkw des Juniors wieder auf die Autobahn, wechselt in nur einem Zug auf die ganz linke Spur, gibt Gas. Kevin indes fährt die Fenster in der Kabine herunter und atmet tief ein. Bei Bremen ist eine große Kaffeerösterei ansässig. Es riecht herrlich. „In der Ruhe liegt die Kraft“, sagt er. „Das hab ich von Vattern.“ Demnächst will Kevin seinen Sohn Paul mitnehmen. Dann wären die Knostmanns zu dritt unterwegs.

 

Fotos: Lucas Wahl